Abhandlungen : K. Gessner: Vom Zierrat zum Zeichen von Identitäten: Soziokulturelle Betrachtungen auf Grundlage des endneolithischern Schmucks im Mittelelbe-Saale-Gebiet – P. Makarowicz: Gesellschaftliche Strukturen der Glockenbecherkultur im Gebiet zwischen Weichsel und Oder – M. Goldhausen: Klimaveränderungen im Spiegel regionalen Siedlungsverhaltens? Eine systematische Bevölkerungsverschiebung im 6. Jh. u. Z. an der Zentralen Küste von Peru – M. Gasche: Die Vor- und Frühgeschichtsforschung im Reichskommissariat Ostland, 1941–1944 – Rezensionen und Annotationen ### Zusammenfassungen ### Vom Zierrat zum Zeichen von Identitäten: Soziokulturelle Betrachtungen Auf Grundlage des Endneolithischern Schmucks im Mittelelbe-Saale-Gebiet von Kerstin Gessner (Berlin): Schmuck ist nicht nur Ausdruck menschlicher Kreativität und Ästhetik, sondern ein wichtiger Bestandteil der sozialen Interaktion. Dennoch standen bislang umfassende Studien zu diesem Phänomen aus. Auch in der Neolithforschung wurde Schmuck im Vergleich zu anderen Objektkategorien wie Keramik und Steingeräten wenig beachtet und nur marginal behandelt. Schmuck stand bislang lediglich im Spannungsfeld zwischen kulturspezifischer und interpretatorischer Fragestellungen – ein Informationspotenzial, insbesondere als Medium sozialer Interaktionen, wurde ihm nicht zugesprochen. Soziokulturelle Studien, die sich der gesellschaftlichen Organisation der schnurkeramischen Kultur widmeten, legten vor allem ihr Augenmerk auf die bipolare Bestattungssitte, die i. d. R. als geschlechtsspezifisch gewertet wurde. Die Auswertung der Schmuckbeigaben im schnurkeramischen Bestattungsbrauch erbrachte allerdings, dass in Bezug auf die soziale Differenzierung neben den bislang postulierten geschlechtsspezifischen Faktoren das Alter der Toten eine entscheidende Rolle für die Schmuckausstattung gespielt hatte. Ein wichtiges Ergebnis stellt der Umstand dar, dass Schmuck innerhalb der schnurkeramischen Gemeinschaft weniger lebenslänglicher persönlicher Besitz, als vielmehr Kennzeichen für die Zugehörigkeit zu einer über Schmuck Prestige akkumulierenden Gruppe und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Alters- oder Akkumulationsstufe innerhalb dieser Gruppe darstellen kann. Dies ist ein weiterer Mosaikstein zum Verständnis der Organisation der schnurkeramischen Gemeinschaft und steht in direktem Zusammenhang mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen, die ebenfalls starke Argumente für den altersspezifischen Faktor erbracht haben (Wiermann 2002). ### Gesellschaftliche Strukturen der Glockenbecherkultur im Gebiet zwischen Weichsel und Oder von Przemys³aw Makarowicz (Poznañ): Ziel dieses Aufsatzes ist der Versuch, die gesellschaftlichen Strukturen innerhalb der Glockenbecherkultur im Gebiet zwischen Weichsel und Oder zu beschreiben. Das gesellschaftliche Leben wurde mit großer Wahrscheinlichkeit durch Rivalitäten zwischen den einzelnen Gemeinschaften, dem Streben nach Prestige, Status, Macht und Reichtum bestimmt. Der grundsätzliche Faktor, der das gesellschaftliche Verhalten regelte, waren jedoch die Verwandtschaftsverhältnisse, die eng mit der Art und Weise der Wahl der Ehepartner und vor allem mit dem Frauenaustausch verbunden waren. Den Wettbewerb zwischen den Verwandtschaftsgruppen (Lineages, Geschlechter) wurde von ausgeprägten Ritualen begleitet, die die Einheit und Solidarität der jeweiligen Gruppe stärkten und ihre Einheit festigten. Im Falle der Glockenbecherkultur im Gebiet des polnischen Tieflands (der Iwno-Kultur) war das Wesen der Rivalität zwischen den Gruppen durch gegenseitiges Beschenken und ein ostentatives Weitergeben von wertvollen Gegenständen bestimmt. Die Quellen suggerieren eine dominierende Rolle der Männer/Krieger in der Gemeinschaft. Die Rangunterschiede (ranking) innerhalb der Gemeinschaften sind als mittelmäßig ausgeprägt zu bezeichnen. Bei der Iwno-Kultur wiesen sie eine steigende Tendenz auf, erreichten aber nie das Niveau einer Stratifikation. Eine wichtige Rolle bei der Stimulierung und Legitimierung von Ungleichheit spielten Prestigegegenstände, die oft aus „exotischen” Rohstoffen hergestellt waren. ### Klimaveränderungen im Spiegel regionalen Siedlungsverhaltens? Eine systematische Bevölkerungsverschiebung im 6. Jh. u. Z. an der zentralen Küste von Peru von Marco Goldhausen (Berlin): Die Auswertung siedlungsspezifischer Daten hat auf ein außergewöhnliches Phänomen einer massiven Bevölkerungsverschiebung an der zentralen Küste von Peru aufmerksam gemacht. Die archäologische Datierung dieses Ereignisses rückt den Zeitraum des 6. Jh. u. Z. in den Vordergrund. Im Hinblick auf die zunehmende Relevanz umweltdeterministischer Erklärungsmodelle in den Altertumswissenschaften wird der Versuch unternommen, die demographischen Veränderungen mit zentralandinen, paläoklimatischen Sequenzen zu korrelieren, um bei einer Gegenüberstellung beider neue Einblicke in die Siedlungsgeschichte der zentralen Küste zu gewinnen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem zumeist medienwirksam diskutierten Problem klimatischer Alterationen und ihrer Auswirkung auf den Menschen vermag neue Einsichten zu geben. ### Die Vor- und Frühgeschichtsforschung im Reichskommissariat Ostland, 1941–1944 von Malte Gasche (Helsinki): Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Jahre 1941 wurden die eroberten Gebiete Estland, Lettland, Litauen und Weißruthenien administrativ im Reichskommissariat Ostland (RKO) zusammengefasst. Eine Wiederherstellung der Selbständigkeit der baltischen Staaten war von nationalsozialistischer Seite nicht angedacht. Vielmehr zielten die Pläne auf eine Eingliederung dieser Gebiete in das deutsche Reich ab. Esten, ein Großteil der Letten sowie eine Minorität der litauischen Bevölkerung sollten eingedeutscht werden. Der Vor- und Frühgeschichtsforschung fiel die Aufgabe zu, die Annexionsansprüche zu legitimieren und jene Bevölkerungsanteile, die als eindeutschungswürdig eingestuft wurden, von ihrer vermeintlich germanischen Abstammung zu überzeugen. Angeleitet von Prof. Carl Engel erhielt die Vor- und Frühgeschichtsforschung im RKO eine zentrale Organisationsstruktur. Einheimische Archäologen, die sich ideologisch anpassten, konnten ihre Arbeit fortsetzen. So standen in Lettland neun von zehn Grabungen unter der Leitung von lettischen Archäologen. Beim Vormarsch der Roten Armee im Herbst 1944 verließen viele baltische Gelehrte ihre Heimat. Nach 1945 hatte die Vor- und Frühgeschichtsforschung im Baltikum theoretisch und methodisch im dogmatischen Marxismus zu erfolgen. Einher ging dieser Paradigmenwechsel mit einer slawisch orientierten Interpretation von Funden. Besonders von Esten und Letten wurde dies als Legitimation einer intensiv vor sich gehenden Russifizierung empfunden.
Band 46, Heft 1
9,00 €
Gewicht | 350 g |
---|---|
Bestellnr | 2-36-46-1 |
Produktgruppe | Verkaufsprogramm |
Reihe | Zeitschrift/Reihen |
Hauptgruppe | Ethnographisch-Archäologische Zeitschrift (EAZ) |
Untergruppe | |
ISBN | |
KurzbezTitel | Band 46, Heft 1 |
Autor | Hrsg von J. Callmer und R. Struwe |
Erscheinungsjahr | 2005 |
TechnischeAbgaben | Beiträge zum Stand der Forschung, zahlr. Abb. in SW |
Inhalt | Abhandlungen : K. Gessner: Vom Zierrat zum Zeichen von Identitäten: Soziokulturelle Betrachtungen auf Grundlage des endneolithischern Schmucks im Mittelelbe-Saale-Gebiet – P. Makarowicz: Gesellschaftliche Strukturen der Glockenbecherkultur im Gebiet zwischen Weichsel und Oder – M. Goldhausen: Klimaveränderungen im Spiegel regionalen Siedlungsverhaltens? Eine systematische Bevölkerungsverschiebung im 6. Jh. u. Z. an der Zentralen Küste von Peru – M. Gasche: Die Vor- und Frühgeschichtsforschung im Reichskommissariat Ostland, 1941–1944 – Rezensionen und Annotationen ### Zusammenfassungen ### Vom Zierrat zum Zeichen von Identitäten: Soziokulturelle Betrachtungen Auf Grundlage des Endneolithischern Schmucks im Mittelelbe-Saale-Gebiet von Kerstin Gessner (Berlin): Schmuck ist nicht nur Ausdruck menschlicher Kreativität und Ästhetik, sondern ein wichtiger Bestandteil der sozialen Interaktion. Dennoch standen bislang umfassende Studien zu diesem Phänomen aus. Auch in der Neolithforschung wurde Schmuck im Vergleich zu anderen Objektkategorien wie Keramik und Steingeräten wenig beachtet und nur marginal behandelt. Schmuck stand bislang lediglich im Spannungsfeld zwischen kulturspezifischer und interpretatorischer Fragestellungen – ein Informationspotenzial, insbesondere als Medium sozialer Interaktionen, wurde ihm nicht zugesprochen. Soziokulturelle Studien, die sich der gesellschaftlichen Organisation der schnurkeramischen Kultur widmeten, legten vor allem ihr Augenmerk auf die bipolare Bestattungssitte, die i. d. R. als geschlechtsspezifisch gewertet wurde. Die Auswertung der Schmuckbeigaben im schnurkeramischen Bestattungsbrauch erbrachte allerdings, dass in Bezug auf die soziale Differenzierung neben den bislang postulierten geschlechtsspezifischen Faktoren das Alter der Toten eine entscheidende Rolle für die Schmuckausstattung gespielt hatte. Ein wichtiges Ergebnis stellt der Umstand dar, dass Schmuck innerhalb der schnurkeramischen Gemeinschaft weniger lebenslänglicher persönlicher Besitz, als vielmehr Kennzeichen für die Zugehörigkeit zu einer über Schmuck Prestige akkumulierenden Gruppe und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Alters- oder Akkumulationsstufe innerhalb dieser Gruppe darstellen kann. Dies ist ein weiterer Mosaikstein zum Verständnis der Organisation der schnurkeramischen Gemeinschaft und steht in direktem Zusammenhang mit den Ergebnissen anderer Untersuchungen, die ebenfalls starke Argumente für den altersspezifischen Faktor erbracht haben (Wiermann 2002). ### Gesellschaftliche Strukturen der Glockenbecherkultur im Gebiet zwischen Weichsel und Oder von Przemys³aw Makarowicz (Poznañ): Ziel dieses Aufsatzes ist der Versuch, die gesellschaftlichen Strukturen innerhalb der Glockenbecherkultur im Gebiet zwischen Weichsel und Oder zu beschreiben. Das gesellschaftliche Leben wurde mit großer Wahrscheinlichkeit durch Rivalitäten zwischen den einzelnen Gemeinschaften, dem Streben nach Prestige, Status, Macht und Reichtum bestimmt. Der grundsätzliche Faktor, der das gesellschaftliche Verhalten regelte, waren jedoch die Verwandtschaftsverhältnisse, die eng mit der Art und Weise der Wahl der Ehepartner und vor allem mit dem Frauenaustausch verbunden waren. Den Wettbewerb zwischen den Verwandtschaftsgruppen (Lineages, Geschlechter) wurde von ausgeprägten Ritualen begleitet, die die Einheit und Solidarität der jeweiligen Gruppe stärkten und ihre Einheit festigten. Im Falle der Glockenbecherkultur im Gebiet des polnischen Tieflands (der Iwno-Kultur) war das Wesen der Rivalität zwischen den Gruppen durch gegenseitiges Beschenken und ein ostentatives Weitergeben von wertvollen Gegenständen bestimmt. Die Quellen suggerieren eine dominierende Rolle der Männer/Krieger in der Gemeinschaft. Die Rangunterschiede (ranking) innerhalb der Gemeinschaften sind als mittelmäßig ausgeprägt zu bezeichnen. Bei der Iwno-Kultur wiesen sie eine steigende Tendenz auf, erreichten aber nie das Niveau einer Stratifikation. Eine wichtige Rolle bei der Stimulierung und Legitimierung von Ungleichheit spielten Prestigegegenstände, die oft aus „exotischen” Rohstoffen hergestellt waren. ### Klimaveränderungen im Spiegel regionalen Siedlungsverhaltens? Eine systematische Bevölkerungsverschiebung im 6. Jh. u. Z. an der zentralen Küste von Peru von Marco Goldhausen (Berlin): Die Auswertung siedlungsspezifischer Daten hat auf ein außergewöhnliches Phänomen einer massiven Bevölkerungsverschiebung an der zentralen Küste von Peru aufmerksam gemacht. Die archäologische Datierung dieses Ereignisses rückt den Zeitraum des 6. Jh. u. Z. in den Vordergrund. Im Hinblick auf die zunehmende Relevanz umweltdeterministischer Erklärungsmodelle in den Altertumswissenschaften wird der Versuch unternommen, die demographischen Veränderungen mit zentralandinen, paläoklimatischen Sequenzen zu korrelieren, um bei einer Gegenüberstellung beider neue Einblicke in die Siedlungsgeschichte der zentralen Küste zu gewinnen. Die kritische Auseinandersetzung mit dem zumeist medienwirksam diskutierten Problem klimatischer Alterationen und ihrer Auswirkung auf den Menschen vermag neue Einsichten zu geben. ### Die Vor- und Frühgeschichtsforschung im Reichskommissariat Ostland, 1941–1944 von Malte Gasche (Helsinki): Nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion im Jahre 1941 wurden die eroberten Gebiete Estland, Lettland, Litauen und Weißruthenien administrativ im Reichskommissariat Ostland (RKO) zusammengefasst. Eine Wiederherstellung der Selbständigkeit der baltischen Staaten war von nationalsozialistischer Seite nicht angedacht. Vielmehr zielten die Pläne auf eine Eingliederung dieser Gebiete in das deutsche Reich ab. Esten, ein Großteil der Letten sowie eine Minorität der litauischen Bevölkerung sollten eingedeutscht werden. Der Vor- und Frühgeschichtsforschung fiel die Aufgabe zu, die Annexionsansprüche zu legitimieren und jene Bevölkerungsanteile, die als eindeutschungswürdig eingestuft wurden, von ihrer vermeintlich germanischen Abstammung zu überzeugen. Angeleitet von Prof. Carl Engel erhielt die Vor- und Frühgeschichtsforschung im RKO eine zentrale Organisationsstruktur. Einheimische Archäologen, die sich ideologisch anpassten, konnten ihre Arbeit fortsetzen. So standen in Lettland neun von zehn Grabungen unter der Leitung von lettischen Archäologen. Beim Vormarsch der Roten Armee im Herbst 1944 verließen viele baltische Gelehrte ihre Heimat. Nach 1945 hatte die Vor- und Frühgeschichtsforschung im Baltikum theoretisch und methodisch im dogmatischen Marxismus zu erfolgen. Einher ging dieser Paradigmenwechsel mit einer slawisch orientierten Interpretation von Funden. Besonders von Esten und Letten wurde dies als Legitimation einer intensiv vor sich gehenden Russifizierung empfunden. |
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