Bei archäologischen Ausgrabungen an der nördlichen Außenwand der ehemaligen Franziskanerkirche in Wittenberg gelang im Jahr 2012 ein sensationeller Fund, den das Landesmuseum für Vorgeschichte Halle zum Anlass für eine Sonderausstellung rund um das Thema »Alchemie« nimmt: Im Mittelpunkt der Schau, die vom 25. November 2016 bis zum 5. Juni 2017 gezeigt wird, steht der bislang größte Fund alchemistischer Gerätschaften des 16. Jahrhunderts nördlich der Alpen. Neben zahlreichen Objekten aus dem Fundus des Landesmuseums stellen dafür über 30 europäische Museen, Archive und Sammlungen ihre Schätze zur Verfügung. Auf ca. 500 m² Ausstellungsfläche werden ca. 150 Exponate und Exponatgruppen präsentiert. Gefördert wird die Ausstellung vom Land Sachsen-Anhalt und dem Verein zur Förderung des Landesmuseums für Vorgeschichte e.V.
Das in der Öffentlichkeit vorherrschende Bild des Alchemisten ist geprägt von der Vorstellung des Schwarzmagiers und Goldmachers, der in häufig betrügerischer Absicht seinen geheimen Machenschaften nachgeht. Die Zeitgenossen der Renaissance sahen dies keineswegs so. Viele Fürsten hielten sich eigene Alchemisten am Hofe oder betrieben sogar selbst alchemische Forschungen. Die Alchemisten des Mittelalters und der Neuzeit waren vom Drang nach Wissen und Erkenntnis beseelt und hofften mit dem Stein der Weisen, den sie vergeblich suchten, Macht, Wohlstand und Gesundheit zu erlangen – ein Versprechen, das die moderne Chemie in gleicher Weise immer noch gibt.
Darstellungen alchemischer Gerätschaften und Laboratorien aus dem 16. Jahrhundert sind in nicht unerheblicher Zahl bekannt. Dingliche Hinterlassenschaften sind jedoch äußerst selten. Der Wittenberger Fund füllt diese Lücke in erfreulichem Maße. Zahlreiche Retorten, Destilliergefäße, Dreieckstiegel und anderes mehr geben einen unmittelbaren Eindruck von den Geräten eines Alchemisten. Darüber hinaus erlauben die anhaftenden erhaltenen Substanzreste genaue Aussagen über Tätigkeiten dieser frühen Wissenschaftler. In Wittenberg wurden in erster Linie Pharmazeutika auf Antimon- und Quecksilberbasis hergestellt. Dies passt gut zu den erhaltenen und ebenfalls in der Ausstellung präsentierten frühen medizinischen Befunden aus dem Bereich der Franziskanerkirche. So fanden sich dort frühe Fälle der im 16. Jahrhundert in der Stadt grassierenden Syphilis. Als Medikament gegen diese gefürchtete Krankheit dienten Quecksilberverbindungen, die auch im Wittenberger Labor hergestellt wurden. Einen Zusammenhang mit der 1502 gegründeten Wittenberger Universität Leucorea zeigen zwei frühe Fälle von Schädelsektionen, die bislang nur aus archivalischen Quellen, nun aber auch im archäologischen Befund nachweisbar sind.
Inhaltsverzeichnis:
Vorwort der Herausgeber
DIE WITTENBERGER ALCHEMISTENWERKSTATT: FUNDE UND BEFUNDE
Alfred Reichenberger:
• Der Alchemiefund aus dem Franziskanerkloster in Wittenberg im Spannungsfeld zwischen Scharlatanerie und Wissenschaft. Eine Einführung
Holger Rode:
• Die Abfallgrube der Alchemistenwerkstatt und die anatomischen Befunde im aufgelassenen Wittenberger Franziskanerkloster
Vera Keil:
• Zur Restaurierung der Wittenberger Alchemistenfunde
Christian-Heinrich Wunderlich:
• Keine »Alchimei böser Buben«. Spagyrische Arzneiproduktion in Renaissance und Barock am Beispiel der Laborfunde von Wittenberg und Huysburg
Anhang: Ernst Pernicka, Zu den isotopischen und chemischen Untersuchungen der Antimonherkunft
Hans-Jürgen Döhle:
• Der Hund aus der Abfallgrube einer Alchemistenwerkstatt im Wittenberger Franziskanerkloster
Maria Albrecht:
• Ofenzubehör aus dem Wittenberger Alchemistenlabor
Hans-Georg Stephan:
• Gläsernes und keramisches Laborgerat. Trinkgläser und Gebrauchskeramik des Wittenberger Alchemistenfundes – Aspekte der zeitlichen, kultur- und wissenschafts- geschichtlichen Einordnung
GEISTESWISSENSCHAFTLICHER UND MEDIZINHISTORISCHER KONTEXT
Heiner Lück:
• Die Gründung der Universität Wittenberg und ihr akademisches Umfeld
Florian Steger:
• Ein Blick auf die Medizingeschichte des 16. Jahrhunderts
Christian Meyer, Jens Brauer, Holger Rode und Kurt W. Alt:
• Menschliche Skelettfunde mit Spuren anatomischer Sektione;J. des frühen 16. Jahrhunderts und frühe Fälle von Syphilis aus der ehemaligen Franziskanerkirche in Wittenberg
Philippe Wanner:
• Alchemie und Pharmazie im 16. Jahrhundert
Claudia Sachße:
• Alchemie und Arzneibereitung in Spätmittelalter und Früher Neuzeit
Joel Klein:
• Alchemical Histories, Chymical Education, and Chymical Medicine in Sixteenth- and Seventeenth-Century Wittenberg
Andreas Stahl:
• Alchemistische Netzwerke in und um Wittenberg – Faust in Wittenberg?
ASPEKTE ALCHEMISCHER PRAXIS UND ÜBERLIEFERUNG
Claus Priesner:
• Alchemisten, Magier, Goldmacher – Alchemie und Naturmagie zur Zeit Fausts
Denise Roth:
• Die Formel »Faust« oder: Die zeitlose Aktualität von Alchemie und Teufelspakt. Streben nach Erkenntnis und Suche nach dem Sinn des Lebens
Petra Feuerstein-Herz:
• Schriftliche und bildliehe Quellen zur Alchemie des 16. Jahrhunderts
Anke Timmermann:
• Mit den Augen des Alchemikers: Die Geheimnisse alchemischer Texte, Objekte und Bilder neu betrachtet
Peter Kurzmann:
• Über balnea marie sowie Adler, Geier, anabiq und andere gschickte gleser
VERGLEICHSFUNDE IM DEUTSCHSPRACHIGEN RAUM
Pia Kamber:
• Basel- Hauptstadt der Alchemie
Sigrid von Osten:
• Das Alchemistenlaboratorium von Oberstockstall- Passauer Domherren forschen auf den Gebieten der Chemie, der Metallurgie und der Pharmazie (1548/49-1590)
Jost Weyer:
• Der alchemische Alltag an einem Fürstenhof um 1600- GrafWolfgang II. von Hohenlohe und Schloss Weikersheim
Ernst Pernicka und Alfred Reichenberger:
• Eine angebliche Alchemistenmünze von Plötzkau
Reinhard Schmitt:
• Alchemiefunde aus Sachsen-Anhalt: Huysburg und Stolberg
Christian-Heinrich Wunderlich und Rainer Werthmann:
• Der Stein der Weisen des Esaias Stumpffeld – Alchemist im Dienste des Fürsten zu Stolberg-Wernigerode
Rainer Werthmann:
• Experimentelle Alchemie – Die Gothaer Proben vom »Stein der Weisen«
EXKURS
Michael Hoch:
• Die Kunst in der Wissenschaft