Das Bestattungswesen in ur- und frühgeschichtlicher Zeit ist in allen archäologischen Kulturen eng an verschiedene Lebensbereiche der Menschen gebunden. Oft prägt es sogar die jeweilige Kultur, wobei ein nahezu perfekter Erhalt der Leiche durch Konservierung einer vollständigen Vernichtung des Körpers durch Verbrennung gegenüberstehen kann. Die Bestattungsarten spiegeln wahrscheinlich unterschiedliche Auffassungen vom Sein nach dem Tod wider. Ihre Erforschung ermöglicht uns heute einen Einblick in religiöse und kulturelle Vorstellungen früherer ethnischer Einheiten. Hierbei sind Gräber als eine besondere Form der geschichtlichen Überlieferung anzusehen, da sie vielseitige Informationen der damaligen Individuen enthalten und vermitteln können. Im Totenbrauchtum fast aller archäologischen Kulturen sind Leichenverbrennungen belegt. Sie setzen bereits im Neolithikum ein und werden im Verlauf der Bronzezeit zur bevorzugten Bestattungssitte. Die Aussichten eines Leichenbrandes, erhalten zu bleiben, sind, gegenüber ‚unbehandelten‘ Knochen, unter Berücksichtigung der Liegezeit, günstiger. Damit erhöht sich ihre Bedeutung als historisches Quellenmaterial. Die anthropologische Leichenbranddiagnostik leistet vor allem dort zur Erforschung der menschlichen Kulturgeschichte einen Beitrag, wo durch das Fehlen von Beifunden – also bei einer Vielzahl von Urnengräbern – die archäologische Aussage eingeschränkt ist. Der Rote Berg bei Loitsche, Ldkr. Ohrekreis, wurde bereits im letzten Jahrhundert als ein ur- und frühgeschichtlicher Bestattungsplatz beschrieben. Durch Gelegenheitsfunde und im Rahmen verschiedener Notbergungen, bei denen 2 510 m2 des Friedhofes ergraben wurden, stand eine große Anzahl von Funden zur wissenschaftlichen Bearbeitung zur Verfügung. Die ältesten Gräber von Loitsche müssen in den Übergangshorizont der späten Bronze-/ frühen Eisenzeit datiert werden. Der überwiegende Teil der Funde ist jedoch der späten römischen Kaiserzeit zuzuordnen. Damit deuten sich zwei Belegungszeiten des Friedhofareals an. Für die Kenntnis der römischen Kaiserzeit bleiben Grabfunde die sowohl quantitativ als auch qualitativ bedeutendsten archäologischen Quellen, da, wie im vorliegenden Fall auch, die zum Gräberfeld gehörigen Siedlungen im erforderlichen Umfang noch nicht ausgegraben wurden. Da zu jener Zeit die Verbrennung auf einem Scheiterhaufen als Bestattungsbrauch gepflegt wurde, können hier vor allem durch die anthropologischen Beurteilungen von Leichenbränden notwendige Informationen über die damalige Bevölkerung erschlossen werden. Der älteste derzeit geborgene Fund vom Roten Berg bei Loitsche stammt aus dem Paläolithikum. Es handelt sich um einen Faustkeil. Mit seiner Datierung in die altsteinzeitliche Stufe des Acheuléen stellt er ein Zeugnis frühester menschlicher Besiedlung dar, kann aber natürlich nicht mit den hier behandelten Leichenbränden in Verbindung gebracht werden. Gegenstand dieser Arbeit ist die anthropologische Bearbeitung der Leichenbrandfunde des Urnenfriedhofes vom Roten Berg bei Loitsche, Ldkr. Ohrekreis, in Sachsen-Anhalt. Die Beurteilung umfaßt 688 Befunde, darunter 657 Gräber sowie 593 Leichenbrände, womit ein repräsentativer Anteil des Gräberfeldes, das nicht vollständig ausgegraben wurde, einer wissenschaftlichen Bearbeitung unterzogen werden kann. Bei den Bestattungen des Loitscher Urnenfriedhofes handelt es sich um einen komplexen Ausschnitt der spätkaiserzeitlichen Bevölkerung des mitteldeutschen Raumes; damit kann für Sachsen-Anhalt erstmalig die Bearbeitung einer größeren Leichenbrandserie dieser Zeitstellung vorgelegt werden. Obwohl menschliche Überreste durch den Vorgang der Verbrennung erhebliche Veränderungen aufweisen, die eine Diagnose stark einschränken, können sie doch noch umfassende Informationen liefern. In der vorliegenden Untersuchung sind die Befunde unter Berücksichtigung des aktuellen Standes der anthropologischen Forschung erhoben und beurteilt. Die Methoden der Leichenbrandbearbeitung werden in diesem Zusammenhang kritisch diskutiert. Histologische, röntgenologische und chemische Methoden fanden keine Anwendung, da ihre Aussagekraft – besonders für die Anwendung bei Leichenbrandanalysen – teilweise durch weiterführende Untersuchungen noch zu prüfen ist oder hier nicht gefragt war. Der überwiegende Teil der Leichenbrandmaterials wurde in die späte römische Kaiserzeit datiert. Daneben stammen wenige Funde aus der späten Bronze-/frühen Eisenzeit. Da die untersuchten Leichenbrände aus zwei Zeitstufen stammen, ist in der Beurteilung stets ein chronologischer Vergleich enthalten. Darüber hinaus sind Daten anderer Gräberfelder zum geographischen Vergleich herangezogen worden.
(Auszug aus Einleitung)
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Forschungs- und Publikationsstand
Material und Methoden
• Das Gräberfeld
• Material
• Methoden
Befunde, Ergebnisse und Diskusionen
• Metrische Alters- und Geschlechtsdifferenzierung
• Bevölkerungsaufbau
• Gräber und Bestattungen
• Leichenbrandgewichte
• Fragmentierung der Leichenbrände
• Folgen der Verbrennung
• Maße und Körperbau
• Pathologische Befunde und morphologische Besonderheiten
Zusammenfassung
Tabellen der Originaldaten
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Katalog-Teil
Vorbemerkungen
Befunde und Funde