Farbigkeit spielt im archäologischen Befund in der Regel eine untergeordnete Rolle. Farbfunde sind rar. A priori ist diese Fundlage den Erhaltungsbedingungen geschuldet. Organische Farbmittel, wie beispielsweise Textilfarben. zersetzen sich in der Regel nach der Einbringung in den Boden. Mineralische Pigmente, wie sie gewöhnlich zu Malerei- und Anstrichzwecken verwendet wurden, überdauern die Bodenlagerung dagegen durchaus in ihrer Substanz, sind aber aufgrund ihres dünnschichtigen Auftrages und der geringen Substanzmenge selten im archäologischen Fundgut fassbar. Bessere Erhaltungsbedingungen aber – beispielweise in Feuchtbodenmilieus oder ariden Gegenden – öffnen exemplarisch ein kleines Fenster zu einer farbenprächtigen prähistorischen Welt.
Die Farbe Rot dominiert aufgrund ihrer Häufigkeit und faszinierenden Signalwirkung dabei das Fundbild bis in die Neuzeit. Seit dem Paläolithikum ist Rot in Form des Eisenoxides Hämatit, entweder in Reinform oder natürlichen Verwitterungsprodukten wie Rötel oder Rotocker im archäologischen Kontext belegt. Die hämatithaitigen Pigmente waren nahezu überall aufzulesen, bergmännisch zu gewinnen oder sogar durch Brennen von gelben Ockern künstlich herzustellen. Mit dem beginnenden Neolithikum sind diese beständigen »Rötelerden« beinahe regelhaft für die Bemalung von Körpern, Häusern und Gebrauchsgegenständen überberliefert.
Heute nicht mehr zu erschließen sind der Symbolgehalt oder die Konnotation, die mit der roten Farbe in den prähistorischen, schriftlosen Kulturen verbunden wurden. Klare Angaben zur Verwendung im Ritus und gleichsam zum materiellen Wert der Farbe sind erst den Berichten antiker Autoren zu entnehmen. Als ehemals teurer spartanischer oder später römischer Schneckenpurpur hat sich die Farbe ihre Bedeutung als elitäres Distinktionsmittel bis heute bewahrt. Rot ist im modernen Alltag die symbolträchtigste aller Farben und löst die meisten Reize aus; egal ob der rote Sportwagen als Statusanzeiger, der signalrot leuchtende Korrekturstift oder die roten Lippen Aufmerksamkeit heischender Damen unser Interesse erwecken.
Diese Vielschichtigkeit der Farbe, ihre Gewinnung, Verwendung und auch Wertigkeit wurde während des dreitägigen Kongresses im Oktober 2012 intensiv interdisziplinär diskutiert. Unter Einbeziehung soziopsychologischer, ethymologischer, ethnologisch und historischer sowie lagerstättenkundlicher und farbchemischer Aspekte entstand mit dem vorliegenden Sammelband eine kleine Kulturgeschichte der Farbe Rot.
Als sich Mitte des 19. Jahrhunderts langsam die Erkenntnis durchsetzte, dass die Architektur und Skulptur der klassischen Antike einst farbenfroh und bunt war, sahen konservative Klassizisten ihr Winckelmannsches Idealbild einer weißen Welt in Gefahr. Doch die Befunde waren nicht von der Hand zu weisen. Der Vorgeschichtsforschung steht ein solcher Paradigmenwechsel möglicherweise noch bevor. Die Tagung »Rot« sollte hierzu einen Beitrag liefern und helfen, Farbe zu bekennen.
Inhalt:
Vorwort der Herausgeber
Kulturgeschichte und Ethnologie
Christian-Heinrich Wunderlich
- Scharlach, Rötel und anderer Zinnobe Zur Kulturgeschichte roter Farbmittel
Daniela Niesta Kayser
- Der motivationale Einfluss der Farbe Rot auf Attraktivität und Status
Gregor Borg and Margaret Jacobsohn
- Ladies in Red – mining and use of red pigment by Himba women in Northwestern Namibia
Alexandra Wessel
- Rot in Melanesien: Eine Farbe zwischen Menschen und Ahnen
Annemarie Schlerka
- Rot im Wandel der Zeit durch Religionen und Kulturen
Archäologie. Paläolithikum bis Mesolithikum
Josef Eiwanger
- Farbgebrauch im Paläolithikum der Ifri n’Ammar (Nordost-Marokko)
Harald Floss und Monika Ostheider
- Die Farbe Rot in der paläolithischen Kunst
Constantin Rauer
- Die blutende Felswand. Zur Ikonografie der Farbe Rot im Jungpaläolithikum
Marcel Weiß
- Unsere Spuren sind ROT!
Judith M. Grünberg
- Rot in paläolithischen und mesolithischen Bestattungen
Christine Neugebauer-Maresch, Vera M. F. Hammer, Thomas Einwögerer, Marcel Händel und Ulrich Simon
- Die gravettienzeitlichen Rötelgräber und die Farbstoffe des Fundplatzes Krems-Wachtberg/ Niederösterreich
Archäologie. Neolithikum bis Spätantike
Harald Meller, Franziska Knoll und Juliane Filipp
- Rot – vom Leben bis zum Tod. Prähistorische Rötel- und Hämatitfunde aus Mitteldeutschland
Andreas Siegl und Christian-Heinrich Wunderlich
- Moulin Rouge. Die Farbproduktion in der frühneolithischen Siedlung bei Breitenbach. Burgenlandkreis
Elke Kaiser
- Die Ockergrabkultur. Kritische Würdigung eines forschungsgeschichtlichen Konstruktes
Dovydas Jurkénas, Xandra Dalidowski und Susanne Friederich
- Handwerkerdepot und rituelle Niederlegung? Ein außergewöhnlicher Befund der schnurkeramischen Kultur bei Köthen, Sachsen-Anhalt
Tünde Horvath
- The use of red painting in the Late Copper Age. Two case studies and their comparison
Timothy DarviII
- Fifty shades of red: The basic colour category red in the monuments and material culture of Neolithic and Bronze Age communities in Atlantic Northwest Europe
Torsten Trebeß
- Rotsandstein im Grabbau des Neolithikums und der Bronzezeit in Nordostdeutschland
Juliane Filipp
- ROT – RÖTER – Roteisenstein. Rotfunde in älterbronzezeitlichen Gräbern des Nordischen Kreises
Bernhard Steinmann
- Frühkykladische Marmorschalen mit roter Ausmalung: Grabkult oder Prestige?
Fritz Blakolmer
- Die Farbe Rot in Symbolik, Bildkunst und Sprache der bronzezeitlichen Ägäis
Vicente Lull, Rafael Mico, Cristina Rihuete Herrada und Roberto Risch
- Rot in der Unterwelt: Die chthonischen Rituale der Spätbronzezeit auf den Balearischen Inseln
Franziska KnolI, Christian-Heinrich Wunderlich, Maral Asgarzadeh und Vanessa Sever
- Alles Rot in der spätbronze-/früheisenzeitlichen Wandmalerei Mitteldeutschlands?
Susanne Friederich, Christian-Heinrich Wunderlich und Hans Szédeli
- Bunte Farbmaterialien – ein Alltagsgegenstand? Sechs Farbscheiben aus Niederröblingen, Lkr. Mansfeld-Südharz
Karina Iwe
- Die Farbe Rot in der Pazyryk-Kultur
Lukas Thommen
- Der Purpur Spartas
Marco Schrickel und Klaus Bente
- Bedeutung und Bedeutungsverlust roter Korallen: Archäologische und naturwissenschaftliche Studien zu eisenzeitlichen Fibeln
Dominika Reich
- Rot gegen das »Böse Auge« – die apotropäische Rolle der roten Farbe auf römischen Fußbodenmosaiken
Historische Wissenschaften
Doris Oltrogge
- Von Purpur zu Parisrot – zur Nutzung roter Farbmittel in mittelalterlichen Handschriften
Caspar Ehlers
- Otto 11. »der Rote« oder »der Blutdurstige – Beobachtungen zur Symbolik der Farbe Rot in schriftlichen Quellen des Mittelalters
Naturwissenschaften
Annemarie Elisabeth Krame, Christian-Heinrich Wunderlich und René Csuk
- Identifizierung von historischen Textilfarbstoffen aus der Bestattung Königin Edithas
Henrik Helbig, Wolfgang Kainz und Mechthild Klamm
- Rötliche Färbungen in Böden: anthropogen oder natürlich? Fallbeispiele aus Sachsen-Anhalt
Manuela Frotzscher
- Hämatit in Mitteldeutschland
Wolfhard Schlosser
- Urknall und Rotverschiebung